Konzept

Seit einigen Jahren ist ein zunehmendes Interesse am Scherenschnitt im internationalen Ausstellungsbetrieb zu beobachten. Künstlerinnen und Künstler entdecken ein als niedlich, kitschig und als verstaubt verunglimpftes Medium für sich neu und entwickeln sehr differenzierte Positionen. So erobert der Scherenschnitt als Erweiterung des Zeichnungsbegriffs heute den Raum, wird zum skulpturalen Objekt oder zur Installation; auch die von Lotte Reiniger (1899–1981) begonnene filmische Tradition wird fortgesetzt.

Hierbei wird allerdings häufig vergessen, dass der Scherenschnitt kein Phänomen der zeitgenössischen Kunst per se ist. Als Kinderspiel, Kunsthandwerk und Laienkunst lässt er sich weit zurückverfolgen. Den Scherenschnitt, diese »Kleinkunst« (Wilfried Schoeller), charakterisiert, dass er in der Freizeit ohne institutionelle Ausbildung zum Selbstzweck und aus reinem Vergnügen betrieben wird. Er ist ein internationales Phänomen mit einer Geschichte so alt wie die Anfänge des Papiers. Anliegen der Ausstellung »Randscharf – Scherenschnitt heute« ist es daher, auf die Anfänge des Mediums aufmerksam zu machen. So sollen erstmals in Deutschland aktuelle Werke von Vertretern der Laien-Kunst und Werke von Vertretern aus der aktuellen Kunstszene zusammen ausgestellt werden.

Dilettantismus ist heute weitgehend negativ konnotiert, doch das war nicht immer so. Insbesondere das adlige Dilettieren hat eine Tradition, die lange vor der ersten nachgewiesenen begrifflichen Erwähnung des Dilettanten im deutschen Sprachraum 1753 greifbar ist. In der italienischen Renaissance umschrieb man die Beschäftigung mit Künsten und Wissenschaften als ein vom Motiv des ›diletto‹ oder ›piacere‹ getragenes Tun.

›Diletto‹ ist abgeleitet vom italienischen ›dilettare‹ und meint ›vergnügen‹, ›ergötzen‹. Der Hinweis, dass ein Werk von einem Dilettanten stamme, war im 16. und 17. Jahrhundert eine Auszeichnung und eindeutig positiv konnotiert. Erst an den Schwellen zum 19. und 20. Jahrhundert, mit dem Erstarken des Bürgertums, wurde dilettantisches Tun als Problem beschrieben.

Mit der Abwertung des Dilettantismus werden gleichzeitig seine epochemachenden Anstöße für die bildende Kunst vernachlässigt. So wurden im frühen 20. Jahrhundert Kinderzeichnungen, Volkskunst, Kunst und Kunsthandwerk außereuropäischer Völker sowie Werke von psychisch Kranken zu Initialzündungen für Künstler und führten zur grundsätzlichen Neubestimmung künstlerischer Verfahren. In diesem Kontext kommt dem Scherenschnitt eine vergleichbar bedeutende Rolle zu. Es ist hier zum einen an die kubistischen und dadaistischen Collagen zu denken und zum anderen an die gouaches découpés von Henri Matisse (1869–1954), die den Scherenschnitt endgültig in die Hochkunst überführten. Dilettantismus sollte daher als semantisch offen begriffen werden.

Mit der gleichzeitigen, nicht hierarchischen Präsentation der Werke in der Ausstellung »Randscharf –Scherenschnitt heute« sollen die Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen überschritten werden und ein Dialog über zeitgenössische Positionen des Scherenschnitts sowie zwischen alten und neuen Techniken geführt werden. Die Bandbreite der Exponate lädt zum Nachdenken über den Scherenschnitt ein, der nur mit der Kontur zu randscharfen Aussagen zwingt.

Das Deutsche Klingenmuseum in Solingen ist ein perfekter Ort für die Präsentation von Kunstwerken, die mit Messer und Schere entstehen. Es zeigt einen enzyklopädischen Blick auf die Geschichte allen Schneidens: Blankwaffen, Bestecke, Messer und Schneidegeräte; ferner wurden kunst- und kulturhistorische Werke der Malerei, Grafik und Skulptur mit Darstellungen von Waffenträgern und Tafelszenen zusammengetragen. Zeigt die Sammlung diese Schneidewerkzeuge als Gebrauchsgegenstände, so sind Schnittbilder Resultate eines künstlerischen Prozesses mit Messer und Schere.

Antje Buchwald M.A.
2. Vorsitzende des Deutschen Scherenschnittvereins e.V.
Kuratorin der Ausstellung „Randscharf – Scherenschnitt heute“